Samstag, 23. Dezember 2023

Eine graue Silhouette im Wald

Ein Baumwurf heutzutage am westlichen Paschberg

Zwischen 1986 (meinem Maturajahr) und 2001 (dem letzten Jahr in dem die Iglerbahn durchgehend planmäßig in die Stadt fuhr) nutzte ich die Bahn häufig für die Heimfahrt, zuerst von der Uni, später dann vom Büro, um noch einen abendlichen Spaziergang dranzuhängen.

Mit den nun wieder häufigeren Fahrten mit der Iglerbahn, spätnachmittags oder am frühen Abend, tauchen aus dem zu dieser Zeit bereits dunkler werden Geäst des vorbeiziehenden Waldes manche längst vergessene Erinnerungen auf:

Meist fuhr mit der Bahn von der Stadt bergwärts um ca. 5 Uhr abends ein etwas älterer Herr mit Mantel und Aktentasche, der die Bahn stets in Tantegert verließ und im Wald verschwand. Sein Gesicht zu beschreiben, fällt mir heute schwer; seine Gesichtszüge wirkten eher weich und seine Haut hell, was davon zeugte, dass er wohl sinen Tage im Büro verbrachte, sodass ich annahm dieser Gang in den Wald wäre sein einziges Naturerlebnis am Tag. In Manchem mögen wir uns rückblickend sogar ähnlich gewesen sein, allein als noch jugendlicher Mann sieht man diese Ähnlichkeiten nicht oder möchte sie lieber nicht sehen.

Ich zog es jedenfalls vor, nachdem dieser Herr sozusagen Tantegert „besetzt“ hatte, mit dem Gros der Fahrgäste, die damals meist Lans zustrebten, den Triebwagen in der Station Lans-Sistrans zu verlassen, um eine Runde ums Lanser Moor oder einen Abstecher auf den Lanserkopf zu machen.

Bis auf den einen Tag. War es im Vorfrühling oder im Spätherbst, den typischen Jahreszeiten für Paschbergwanderungen? Ich weiß es nicht mehr. Tags zuvor war die Iglerbahn jedenfalls wegen Föhnsturms nicht gefahren. Der erwartete Starkregen war aber auch ausgeblieben und es folgten ein paar undefinierbare Tage mit dem sehnsuchtsvollen Geruch von Meer und einem Widerstreit von Föhn und Regentröpfeln vor eisgrauer Wolkenkulisse. Es wurde an jenem Tage früher dunkel und ich stieg in Tantegert aus, mit der Absicht ein wenig durch die Gegend zu streifen.

In diesem Moment zog der Herr mit Aktentasche (er war offenbar im hintersten Teil des Zuges gesessen) zielstrebig an mir vorbei am Steig in Richtung Poltenhütte. Wir sahen uns einen Moment in die Augen und nickten uns zu, wobei er die Krempe seines Hutes nachlässig berührte. Im Nachhinein möchte ich sagen, dass aus seinen Augen etwas Schalkhaftes blitzte, aber so genau vermag ich das nicht zu sagen.

Ich sah dem Herrn noch eine Weile nach und ….ging dann ihm folgend weiter. Gemächlich, um nicht aufzuholen. So schritt im Dämmerlicht vor mir dessen graue Silhouette, gelegentlich hintern den Wegbiegungen verschwindend. Der Wald der Bahnkehre oberhalb von Tantegert war damals voll ausgewachsen. Man ging also im „dunkeln Tann“, auch wenn es nur Fichten waren. Damals stand neben der Wasserfassung für Tantegert (die auch heute noch zu erkennen ist) noch eine sehr schattige Bank. 
An dieser Stelle vorbeigekommen sah und sieht man auch heute noch ins Helle, auf den Bahnübergang in der Kehre, wo damals der Herr gerade im Begriffe war seinen Schritt zu beschleunigen, so als hätte er etwas entdeckt.

Auch ich versuchte nun aufzuholen und wollte gerade die Bahnstrecke queren - es wurde mir aber bewusst, dass der Hohlweg hinauf zur Poltenhütte durch eine mächtige gestürzte Fichte versperrt war. Das Geäst bildete vom Stamm, der gut drei Meter über dem Hohlweg auf dem angrenzenden Gelände auflag, einen undurchdringlichen dunkelgrünen auf den Weg herab hängenden Vorhang. 
 
Vor diesem ging der Herr gerade in die Hocke zu seiner bereits dort abgestellten Aktentasche und nestelte an ihr herum. Ich blieb gut dreißig Schritte unterhalb am Waldrand und beobachtete. Er nahm aus der Aktentasche ein rahmenartiges Objekt, legte dieses behutsam auf den Boden und begann, nun wieder aufgestanden sich etwas ungelenk seines Mantels und seinen Hutes zu entledigen, die er sorgfältig auf einem größeren Stein am Wegesrand ablegte. Er drehte sich unvermittelt um, blickte in meine Richtung; ich blieb starr im Dunkel des Waldrandes; er blickte noch eine Weile, schien dabei zu lächeln, aber mich nicht bemerkt zu haben. 
 
Er bückte sich erneut, griff zu dem Objekt am Boden und hielt dieses abwägend in seinen Händen, dabei ein paar Schritte von der Barriere zurücktretend. Aus seinen Kopfbewegungen zu schließen betrachtete er den Baum über dem Hohlweg. Schließlich reckte er sich und setzte das rahmenartige Objekt an einem der Äste über seiner Kopfhöhe an. 
 
Das folgende sägende Geräusch und das sichtbare Fallen von Spänen klärte nun die Bewandtnis mit diesem Objekt. Nach einer Weile riss er energisch am Ast, ein klares Knacken, noch ein kurzes Sägen und der Ast plumpste zu Boden. Der Vorgang wiederholte sich nun einige Male, bis sich in der gestürzten Fichte ein Tor auftat. Es mochte ein gute Viertelstunde vergangen sein. Mittlerweile war die Dämmerung schon so fortgeschritten, dass man hier im Wald mit dem Augenrand sehen musste. 
 
Er packte die Bügelsäge wieder in seine Tasche, klopfte sich Späne von Hemd und Hose, schlüpfte nun erstaunlich behände in seinen Mantel, prüfte den Sitz seines Hutes mit beiden Händen und verschwand bergwärts, wieder zur nun dunkelgrauen Silhouette mit Aktentasche geworden, im Wald. Ich verweilte noch ein wenig und schlenderte dann zum neu geschaffenen Tor. Einige Zeit stand ich darunter, betrachtete in der einbrechenden Nacht das sauber ausgeschnittene Werk und die beiseite gelegte Äste. Es war nun schon zu dunkel, um noch ein längere Wanderung zu unternehmen, ich trat den Rückweg an, gerade als ich das Pfeifen des von Aldrans kommenden talwärts fahrenden Zuges hörte und das Aufblitzen der Scheinwerfer im Geäst wahrnahm.

Seither lies ich mich nicht mehr in meinen Absichten von diesem Herren beeinflussen. Öfters stiegen wir gemeinsam aus, gelegentlich grüßten wir uns verstohlen, ich schritt jungendlich forsch aus und dachte mir, wenn er wieder sägen will, wird er schon eine andere Route wählen. Angesprochen habe ich ihn auf seinen Tätigkeit nie. 
 
Oft sah ich nach Sturmschäden Wegestücke ausgeschnitten. Wer gesägt hat? Wer weiß. Ob er heute noch durch die Wälder streift und freischneidet? Vermutlich nicht.

Denn die Generation Mann mit Hut ist mittlerweile längst verschwunden. Mein Vater gehörte auch noch dazu und war damit schon etwas anachronistisch unterwegs.
 
Und dennoch. Es gibt auch heute noch Spaziergänger, die die Säge zur Hand nehmen. 
Das weiß ich gewiss.

3 Kommentare:

Hejmo Stastl hat gesagt…

Ist das wirklich passiert? Sehr skurrile Geschichte, hervorragend erzählt, fast schon etwas gruselig, ...Der Sääger... Wer so seinen Weg unbeirrt geht, offenbar stets das Werkzeug seiner Leidenschaft mit sich führend, sozusagen sich den Weg freisägend, wer weiß, was der sonst noch alles zersägt, was ihm im Wege steht?
Das erinnert schon durchaus an eine Figur aus den diversen Geschichten des Heimito von D. Wahrscheinlich gibt es solche Typen heutzutage gar nicht mehr.

Paschberg hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Paschberg hat gesagt…

Wer weiß....manchmal frage ich mich auch, ob mir die Erinnerung da einen Streich spielt.
Danke jedenfalls fürs Lob, Hejmo!