Sitzt man im nach der Bahnhofsausfahrt aus Linz stetig beschleunigenden Railjet, so tritt nach Querung der Enns und damit der Grenze zum alten babenbergischen Österreich unterbrochen von Tunnels und Schallschutzwänden das Alpenvorland des Mostviertels ins Blickfeld.
Wenn der Zug durch Sankt Valentin und Amstetten brettert (das hier zutreffende lautmalerische Wort für die Weichenüberfahrten) tritt immer wieder in Schlaglichtern die liebliche Landschaft dahinwogend mit Einzelgehöften ins Bild. Dahinter zieht etwas langsamer der Alpenbogen mit Reichraminger Hinterbirge und Ybbstaler Alpen vorbei. In diesem Blickfeld bleibt ab St. Valentin bis Blindenmarkt ein eher siloartiges Objekt auf markanter Anhöhe präsent: Der Sonntagberg.
Der "Silo" ist eine Barockkirche, beherrschend in die Landschaft gesetzt und bei näherer Betrachtung auch durchaus gestaltet, wenngleich man annehmen darf, dass die alte gotische Kirche am selben Ort eine überzeugendere Wirkung entfaltete.
Geplant wurde die Barockkirche von Stanzer Jakob Prandtauer, vollendet von Josef Mungenast.
Ich kenne den Platz prinzipiell seit Mai 1988. Damals habe ich mit der noch durchgängigen ca. 70km langen Ybbstalbahn (von der ein kläglicher Rest mit knapp 3km in Waidhofen noch betrieben wird) von St. Pölten aus einen Ausflug durch die Eisenwurzen gemacht. Auf der Fahrt retour nach St. Pölten blickte ich aus dem Zugfenster und wunderte mich über die prominente noch unbekannte Kirche im Abendlicht hoch über dem Tal (ich kannte bis dahin in der Gegend nur Maria Taferl und Melk). Seither habe ich so ziemlich bei jeder Fahrt nach Wien die selbe Leier im Kopf: "Das müsste ich mir doch einmal ansehen".
34 Jahre später stehe ich nun etwas verloren im Bahnhof Hilm-Kematen und orientiere mich. Kurzfrisitg bin ich da raus, weil mir schien, dass entgegen meiner Ausflugsplanung von dort der Weg etwas netter sein könnte.
Tatsächlich gelangt man nach wenigen Schritten in die Einschicht und und wandert an Dreifaltigkeitsbildstöcken (typische Niederösterreichisch) und einsamen Gehöften stetig bergan.
Nach einiger Zeit weist ein Schild den Weg zum Mostbrunnen, nicht zur Wallfahrtskirche; aber das Gps sagt "die Richtung stimmt". Der Mostbrunnen ist ein trockener Brunneschacht, aus dem man sich Most und Apfelsaft hochkurbeln kann - mit Handkasse zum Bezahlen (auf dem Photo gerade nicht sichtbar rechts vom pink-orangen Bildstock.
Dann beginnt der wirkliche Anstieg. Flysch. Also ziemlich rutschig. Oben am Kamm kommt man östlich der Wallfahrtskirche zum Türkenbrunnen - errrichtet zum Gedenken, dass hier die Türken auf dem Wege von Wien in den Westen in Panik kehrt machten, weil ihnen die Gegend zu rutschig (!) war.
Nun geht es gemächlich am Kamm westwärts und hinauf zur Kirche. Die "Silowikrung" ist wohl den etwas niedrig geratenen Kirchtürmen geschuldet, die sich beinahe unter den First des Kirchenschiffes ducken.
Der Blick schweift vom Ötscher bis ins Mühl und Waldviertel. Westwärts geblickt meine ich den Steinernen Jäger ausmachen zu können - aber die Recherche im Gps ergibt, dass hier einige ähnliche Berge mit Klippen nach Norden stehen. Es könnte auch die Lindaumauer sein. Stoff für weiter Ausflüge...wer weiß.
Die Kirche im innern entpuppt sich als sandgoldfarbenes Monumentalwohnzimmer. Der Zeichenstein, wesentlicher Teil der Gründungslegende, einem versteinereten Germknödel nicht unähnlich (tatsächlich soll dort ein Schäfer seine verlorene Herde und einen Laib Brot gefunden haben), fristet in einem etwas ungepflegten Käfig im Kirchenschiff sein Dasein.
Tritt man vor der Kirche westwärts von der Terrasse führt ein sonniger Steig hinab ins Tal nach Böhlerwerk. Da bei der Wallfahrtkirche die Gehsteige noch hochgeklappt sind (der "Betrieb" geht erst nach Ostern los) nun also wieder hinunter ins enge Tal mit der wachsenden Erkenntnis, dass dieser Ausflug weniger nach Niederösterreich als in ein Gleichstück von Mittelengland führt - ist doch hier die Landschaft eine belebende Mischung aus barocker/ländlicher Parklandschaft, Schäferidylle (Sonntagberg), Schwerindustrie (Böhlerwerk) und mittelalterlichen Städten (Waidhofen); Goethes Abhandlung zum Maschinezeitalter kommt mir in den Sinn...ich schließe hier im Bewusstsein, das die volle Beschreibung dieses Tages noch einige Seiten verschlingen würde.