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Dienstag, 15. Dezember 2020

Heute vor 77 Jahren im Haus Erlerstraße 15:

   
 
Wir haben eben das Mittagessen beendet, als mein Bruder Johann mit dem Ruf “Flieger” zum Fenster in der Speiskammer stürzt. Da schießt auch schon die Flak. Nun renne ich ebenfalls zum Fenster. Anfangs sehe ich außer ein paar braunschwarzen Rauchwölkchen nichts, dann aber, hoch droben im Südosten silbrig glänzende Flugzeuge. 
 
Im selben Augenblick entfernte dumpfe Detonationen. Das könnten Bomben sein, denke ich und laufe ins Zimmer, um Papa und Mama zu warnen, die dort mit dem Einpacken der Sachen beschäftigt sind. (Ergänzung 1955: Ich zweifle heute doch, ob es wirklich Bombenexplosionen waren, denn ich habe diese Detonationen, verglichen mit anderen als sehr sehr schwach in Erinnerung.)
 
 “Wir kommen schon, schau nur, daß Du einmal hinunterkommst!” Also nehme ich Schuhe und Mantel und folge Johann in den Keller. Gleich hinter mir kommt Mama. Ich bin gerade auf der Stiege zwischen 1. Stock und Parterre, als einige dumpfe, aber nicht einmal so laute Einschläge das ganze Haus erzittern lassen, sodaß ich mit der freien Hand unwillkürlich nach der Mauer taste. Gleichzeitig ein unangenehmer Druck in den Ohren, das Stiegenhausfenster vor mir zersplittert und die Luft ist im Nu voll Staub. Mit Nachbarn und einigen verstörten Passanten stehen wir nun vor verschlossener Kellertür — niemand hat in der Aufregung daran gedacht, einen Schlüssel mitzunehmen. 
 
Nun erst kommt Herr Konzert, auf dem Arm einen seiner beiden Buben, und sperrt auf. Da im Keller kein Licht brennt, springe ich schnell in die Wohnung hinauf, um eine Taschenlampe zu holen. Die Türen stehen alle sperrangelweit offen. In der Küche hat der Luftdruck die Kamindeckel abgehoben, alles ist voll Ruß. Papa läuft ganz kopflos in der Wohnung umher, und Tante Toni sitzt laut betend auf ihrem Luftschutzkoffer. Die beiden sind überhaupt nicht aus der Wohnung herausgekommen! Endlich finde ich in Tonis Zimmer die Taschenlampe. Jetzt aber noch schnell einen Blick auf die Straße. — Mir verschlägt es den Atem. Das Witting-Haus hat einen Treffer erhalten! Die halbe Vorderfront ist aufgerissen, auf der Straße ein Berg von Schutt und Balken. Trotzdem denke ich noch immer nicht ernstlich an einen richtigen Angriff, sondern eher an einen Notwurf. Ein Gang durch die Stadt belehrt mich aber bald eines Besseren!
 
Am gleichen Nachmittag noch einmal Fliegeralarm. Wie wir später erfuhren, war vor dem Angriff rechtzeitig Alarm gegeben worden, aber wir hatten das Signal anscheinend überhört.
 
 Alarm: 11.00 Uhr 
Wetter: Strahlend blauer Himmel, leichter Dunst. 
 Zeit: Beginn 12.55 Uhr, Dauer nach meiner Schätzung kaum 1 Minute 
Flugzeuge: Nach einer amerikanischen Rundfunkmeldung “ein starker Verband Fliegender Festungen”.  48 viermot. Bomber 
 Bomben: 40 schwere, 140 mittelschwere Sprengbomben, 24 Blindgänger 
 

 
 
Treffer: Café “Weiß”, Hauptbahnhof (Gleisanlagen und Ankunftshalle, letztere mußte später gesprengt werden), Unterberger-Haus, Meinhardstraße, Boznerplatz (Konradapotheke), Jesuitenkirche, Hochhaus, Kochstraße, Frauenanger (Priester-Villa), Gaswerk, Lokalbahnendstation, Rhombergfabrik (Pradl) Erlerstraße, Seilergasse, Anatom. Institut, Westbahnhof, Volltreffer in Straßenbahnzug vor dem Westbahnhof (Hotel Veldidena). Der rückwärtige Teil des Kaufhauses “Kraus” (ehemals Bauer & Schwarz) brannte noch im Lauf des Nachmittags völlig aus und das Haus Erlerstrasse 14 (Schneiderei Lawatsch) wurde von den Parteien schon geräumt, da ein Übergreifen des Feuers befürchtet wurde. 
 
Bemerkungen: Der amerikanische Rundfunk meldete zum Angriff auf Innsbruck: “Ein starker Verband von Fliegenden Festungen bombardierte heute Mittag Innsbruck. Alle Flugzeuge kehrten zurück.” 
 
Auszug aus dem Tagebuch meines Vaters (damals 16 Jahre alt). Das Tagebuch ist seit 9.4.2019 digtalisiert im Stadtachriv Innsbruck evident - ebenso, wie die englische Übersetzung von Kristina Cosumano
 

***

259 Tote lt.  Liste im Tagebuch (auch so in Wikipedia) 
281 Tote lt. Volksbote vom 6.3.1947
262 Tote (lt. Tiroler Tageszeitung 14.12.1963).

Dienstag, 19. April 2016

Fred Mayer

Fred Mayer ist tot. Was haben wir im zu verdanken? Dass das Ende des zweiten Weltkrieges in Tirol (v.a. in Innsbruck) nicht noch weitere Zerstörungen nach sich zog. 

Am 7. April 2015 stand in der TT „Jahrzehntelang wurde die „Operation Greenup“ in Tirol kaum diskutiert – doch heuer, 70 Jahre nach der spektakulären Geheimdienstmission, ist das Interesse spürbar gewachsen.“ 

Das stimmt so nicht ganz – zumindest aus meiner Sicht, den mir „staubte die Operation Greenup“ förmlich aus den Ohre raus. 1989 als mein Vater für einen Artikel über diese Operation recherchierte. Wahrscheinlich ist es unter anderem dieser Artikel, auf den auch in der TT Bezug genommen wird, da dort in weiterer Folge Wolfgang Pfaundler erwähnt wird, der Herrn Jakob Mayer veranlasste über das Schicksal von Fred Mayer nachzuforschen. 

Mein Vater hat sich in seiner Recherche, die im Fenster Nr. 46, Herbst 1989, Seite 4495, erschien, möglichst strikt an OSS Protokolle gehalten. Trotzdem liest sich die Handlung selbst von diesem amtlichen Standpunkt aus, wie heute an verschiedensten Stellen kolportiert, wie ein Drehbuch zu einer „Räuberpistole“. 

In der Wikipedia ist zu den Vorgängen eine recht ausführliche Zusammenfassung enthalten – interessant auch die weiteren zwei Mitglieder der Operation. Vom Tiroler Franz Weber wird dort bemerkt, dass seine Teilnahme weitgehend unbekannt blieb, obwohl er in den Folgejahren durchaus politisch Karriere machte. 

Nachdem ich 1989 die Recherche über Erzählungen meines Vaters recht hautnah erlebte, gewann ich den Eindruck (damals lebten alle Mitglieder der Operation Greenup noch), dass ihnen das Interesse eher unangenehm war. Mein Vater deutete solches jedenfalls über seine Nachfrage bei Herrn Weber an. Die Gründe blieben damals wie heute im Dunkeln. Dass man über wirkliche Heldentaten nicht gern spricht ist aber hinlänglich bekannt. Auch lebten wohl damals noch ebenso viele von der Gegenseite und die Protagonisten des zweiten Weltkrieges werden wohl vor allem die Befriedung des Landes und das Nichtwiederaufreißen alter Wunden im Auge gehabt und diese auch fast ein halbes Jahrhundert danach so gesehen haben. 

Heute sind die Erinnerungen an diese Zeit wohl schon so abstrakt geworden, dass es nun leichter fällt, die sieben Dekaden früheren Geschehnisse näher zu betrachten. Doch die Gespenster jener Zeit erwachen leider auch allmählich wieder.

Schauplatz 1: Die "Sülze"oberhalb der Amberger Hütte, wo im Spätwinter 1945 die Mitglieder der Operation Greenup ihre Ausrüstung durch den Tiefschnee schleppten.

Schauplatz 2: Blick von Gasteig ostwärts, in Bildmitte hinten der Lachhof, die "Sommerfrische" des Gauleiters Hofer. Den Protokollen kann man entnehmen, dass Fred Mayer dort die friedliche Übergabe Innsbrucks verhandelte - mit der aus heutiger Sicht kritisch betrachteten "Nebenwirkung", dass man Hofer zusicherte, diesen als Kriegsgefangenen und nicht als Kriegsverbrecher zu behandeln. Fakt ist aber wohl, dass damit ein Mehr an sinnlosem Leid vermieden wurde.

Rechts: Beseelter Rechercheur der (auch eigenen) Zeitgeschichte; Links: darob (damals) etwas entnervter Sohn

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Luis Schönherr

Am 7.10.2010, 8h30 jährt sich der Todestag meines Vaters zum ersten Mal.
Am 10.10.2010 um 19 uhr 30 findet die erste Jahrtagsmesse in Amras statt.

Mein Vater in der Iglerbahn, irgendwann kurz vor der Umstellung auf die Hagenertriebwagen (1977).
Das ist jetzt also ca. 35 Jahre her. Für mich ist das Bild gewissermaßen ein Memento Mori – denn bezogen auf meine eigene (statistische) Lebenserwartung zum Zeitpunkt meiner Geburt könnte eine ebensolches Photo von mir selbst heute in einem ähnlichen Zeitabstand zu meinem statistisch zu erwartenden (1967 lag dieser bei ca. 77 Lebensjahren) Todeszeitpunkt
aufgenommen sein (so Gott will, ich persönlich würde ja gerne älter werden und dabei leidlich gesund bleiben wollen) ….
  Es ist für mich schwierig, über meinen Vater einen Nachruf zu verfassen, da bei solchen solchen persönlichen Texten immer unklar ist, ob man dem Menschen gerecht wird, über den man schreibt. Aber es ist für das Diesseits aus meiner Sicht notwendig und ich bin es ihm und mir schuldig – auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass für ihn, aus nun jenseitiger Perspektive betrachtet, viel von dem, mit was man so seine Lebenszeit verbringt, nicht mehr notwendig ist. Aber nachdem hier niemand wissen kann, was das nun wäre, steht es auch niemanden zu, dazu eine Entscheidung zu treffen.


Ein Jahr nach seinem Tod ist es – so glaube ich – sehr passend einen Nachruf zu schreiben.
Meinem Vater nachrufen der nun schon weit weg ist. Dass er mir fehlt. Dass ich ihm dankbar bin. Und dass es eine schöne Zeit mit ihm war.


Mein Vater
So nenne ich ihn nur in der dritten Person. Bis zuletzt war er „Papa“.
Der Eindruck, den mein Vater bei mir hinterlassen hat, ist der eines Universalgelehrten. Es heißt ja immer, dass es so etwas in der heutigen Zeit nicht mehr geben könne – bedingt durch die Diversifikation des Wissens. Aber das, was mir mein Vater in dieser Angelegenheit vermittelt hat, deutet eher darauf hin, dass es solche Diversifikation schon immer – nur auf anderen Ebenen gegeben hat und man es sich nur zutrauen muss, dass man dort, wo einen das eigene Interesse hintreibt, auch durch Selbststudium sehr viel erlernen und mitreden kann.
Nun mag „Universalgelehrter“ als persönlicher Eindruck das Gefühl einer gewissen persönlichen Distanz vermitteln. Das war auch sicher in meinen ersten Lebensjahren so. Aber ich habe auch die deutliche Erinnerung, dass sich mein Vater im Vatersein stets weiterentwickelt hat. Und auch wenn wir bis zuletzt meist vorwiegend technische Gespräche geführt hatten, so war da doch immer stärker das stillschweigende Einverständnis da, dass wir damit auch unsere Gefühle kommunizieren.

Leben

1927...
Mein Vater hatte eine „archivarische“ Neigung und daher lassen sich einige Daten auch ganz gut aus seinen gesammelten Dokumenten ableiten.  Zu seinen Vorkriegserinnerungen hat mein Vater  immer mit liebevollen Details erzählt und ich hatte immer den Eindruck, dass das ein Schatz ist, aus dem mein Vater sehr viel Kraft geschöpft hat - wohl auch, weil diese Erinnerungen mit seiner früh verstorbenen Mutter verknüpft sind. Der Kriegszeit selbst ist er aus meiner Sicht sehr aktiv begegnet, indem er ein Tagebuch über die Bombenangriffe auf Innsbruck geführt hat.


 1955...
Die Zeit zwischen 1955 und 1967 (mit gewissen Überlappungen in die Siebziger Jahre) ist Vaters „Reisezeit“: Zu Süditalien, Russland, Frankreich, später noch Jugoslawien und Deutschland finden sich nicht wenig Dias. Denn photographiert hat mein Vater immer gerne und gut.

Auf Lenins Schulbank. Ich kann mir förmlich die sarkastische Bemerkungen vorstellen, mit denen die damals wahrscheinlich noch gläubig kommunistischen Reiseführer konfrontiert waren.
Was mir an Vaters Lebenslauf besonders auffällt, ist das Einlernen in eine neue Tätigkeit in der Lebensmitte. Mitte der Fünfzigerjahre hat mein Vater als Buchhalter beim Land Tirol begonnen – nicht eben eine von einem Hauch von Abenteuer gezeichnete Tätigkeit. Tatsächlich aber war die Buchhaltung gerade in jenen Tagen die Quelle der künftigen Entwicklung, die nun auch bedingt, dass man „Online“ sein kann. Und so kam es, dass mein Vater Ende der Sechzigerjahre bei der jungen EDV-Abteilung (elektronische Datenverarbeitung) landete.

Die Liebe zu Büromaschinen blieb zeitlebens: Hier photographierend im Mitterhofermuseum in Partschins um 2003....
Kurz nach dem Tode seines Vaters hat mein Vater sich verstärkt auf seine Hobbys konzentriet und sein Schreiben populärwissenschaftlicher Artikel (das in den 50 ér Jahren begann) fortgesetzt, wobei in den folgenden Jahren grenzwissenschaftliche Fragen dazugekommen sind.
Kleines Ufologenmeeting im Garten (Gründungsversammlung der MUFON CES, ich habe damals die "Kongressatmosphäre" im Garten sehr genossen), meinen Vater habe ich mangels einer vollständigen Gruppenaufnahme aus einem Photo eines späteren Ufologentreffens "dazumontiert".
1967
Diese "UFO-Zeit" fiel zeitlich ziemlich genau mit meiner Geburt zusammen.
Seit 1967 ist Luis Schönherr „Papa“.
Bewusste Erinnerungen daran habe ich natürlich erst so ab 1969 (die werden hoffentlich bei mir im fortgeschrittenen Alter noch mehr…).


Ich erinnere mich jedenfalls an viele Basteleien die mein Vater zu meiner „Erbauung“ gemacht hat: Ein Mobile aus verschiedenen Flugzeugen, das er über meinem Bett montierte und das immer höher gehängt werden musste, damit die Modelle nicht zu früh einen Totalschaden erlitten. Eines davon – eine „Sopwith Camel“ hat relativ lange standgehalten (wahrscheinlich weil mir diese am wenigsten gefiel). 

Später kamen dann riesige Matadormodelle hinzu – darunter ein ca. 2 m langer Flugzeugträger. Außerdem begannen wir um 1974 an einer Modellbahnanlage zu basteln, die allerdings in den „Wirrnissen“ meiner höheren Schulausbildung unvollendet blieb und um 1985 demontiert wurde.
Matador war wohl auch ein Kindheitstraum meines Vaters. Ich glaube er hat angesichts des zu erwartenden Nachwuchses bereits vor meiner Geburt alle Matadorbausätze von 0-7 gekauft. Und ich habe es sichtlich genossen - wie das Bild zeigt.

1977
Irgendwann Ende meiner Volksschulzeit hat mir mein Vater versucht zu erklären, was er genau arbeitet. Systemanalytiker hieß es damals, wie ich glaube. Ich erinnere mich an die Flussdiagrammschablonen für die Skizzierung von Programmabläufen und die Formulare in denen die Befehle eingetragen wurde, um sie anschließend in Lochkarten zu übersetzen. Ich dachte mir: „Das ist aber fad.“ Mein Vater war damals etwas enttäuscht, dass sein Sohn für solche Probleme wenig Interesse zeigte.

1986
Meine Schulzeit endete. Zu meiner eigenen und meines Vaters Überraschung mit einem sehr guten Maturazeugnis. Ich erinnere mich noch, wie er mir mit süffisantem Lächeln eine Mappe mit seinen eigenen Maturunterlagen überreichte. Darin fand sich ein mathematisches Fach, das mit „Genügend“ beurteilt wurde. Das war das Jahr, in dem mein Vater den Freudschen Übervater jedenfalls abgelegt hat.
Während meiner Studienzeit (Architektur) hat mir mein Vater einige Male beim Modellbauen geholfen. Es war wieder wie Basteln bei der Modellbahnanlage. Ansonsten war es schon eher eine Zeit der Abnabelung und manchmal denke ich, dass ich vieles, was ich mit meinem Vater noch hätte unternehmen wollen, für immer versäumt habe da sich unsere Wege teilweise trennen mussten (wie es jedem geht - eine Frage des Zeitbudgets). Einige Wanderungen und Ausflüge haben wir aber doch auch in dieser Zeit noch gemacht – und diese gehören für mich zu den wertvollsten Erinnerungen.

Eindrücke von verschiedenen Wanderungen ca.1980 (davor photographierte ich kaum) - 2005.

1997
Wenige Jahre nach Ende meines Studiums beschloss ich, das Erdgeschoß meines Elternhauses für eine eigene Wohnung zu renovieren. Wieder haben mein Vater und ich recht viel gemeinsam gebastelt. Wie ich allerdings nun aus seiner privaten Korrespondenz mit einem Bekannten weiß, hat ihm das beinahe den letzten Nerv gezogen, da er spürte, dass er nicht mehr der Jüngste ist.


In seinem letzen Lebensjahrzehnt hat sich mein Vater vermehrt darauf konzentriert, wieder an seine Jugendzeit anzuknüpfen. Das sehe ich rückblickend so.

Herumexperimentieren mit komplizierten Modellbahnschaltungen. Zum Teil habe ich bei diesen technischen Gesprächen nur mehr Bahnhof verstanden ;-)
Mir kam es so vor, als wolle er gerade die Vorkriegszeit quasi gedanklich rekonstruieren – sei es durch Bücher oder andere Gegenstände, die ihn daran erinnerten. Ich hatte in den letzten Jahren den verstärkten Eindruck, dass sich mein Vater auf dem „Nachhauseweg“ befand. Dazu passt auch, dass sich in dieser Zeit mein Vater und einer seiner Jugendfreunde, Wolfgang, sozusagen wiedergefunden haben und ihre Freundschaft durch gemeinsames Basteln sehr pflegten. In den letzen drei Jahren aber ging es mit beiden gesundheitlich bergab. Nachdem Wolfgang 2008 starb, war mein Vater häufig gedanklich abwesend – er konnte das nicht verwinden.


Ein Bild aus besseren Zeiten. Dampfmaschinentreff bei meinem Vater (im Eiche P 43 Wohnzimmer). Wahrscheinlich könnte man mit einem Morphingprogramm und Jugendbildern der beiden eine unmerkliche Wandlung über beinahe 80 Jahre darstellen.
Ich glaube, dass die letzen drei Jahre aufgrund des verschlechterten Gesundheitszustandes meines Vaters geschenkte Jahre waren (er hat damals die Geschichte mit dem Lungenvolumen erzählt). Er hatte das Glück, dass er lediglich unter einer altersbedingten Zerstreutheit litt und sich ansonsten einen wachen Geist behielt.
Sein Todestag war ein schöner Spätsommertag. Er war zu Behandlung im Sanatorium und es sah so aus, als wäre er bald wieder „gesund“. Manchmal denke ich trotz der klaren ärztlichen Diagnose, dass der damals anstehende Wetterumsturz mit kurzem Wintereinbruch seine Lebenskraft untergrub. Ich dachte, dass angesichts der schönen Herbsttage die danach kamen, dieser zwar unbewusst furchtsam erwartete, dennoch plötzliche, Tod nicht zu rechtfertigten war. Doch irgendwann ist es eben Zeit Abschied zu nehmen. Irgendwann werden wir alle zu unserem Vater zurückkehren.


Werk
Zuerst denke ich nicht an die vielfältigen Artikel die mein Vater geschrieben hat, sondern daran, wie er seinen Lebensraum im Kleinen gestaltet hat.
Gerne erinnere ich mich an das, von meiner Mutter eher belächelte, von ihm selbst gebaute Wohnzimmer, das leider Ende der Siebzigerjahre durch ein Eiche P43 - Wohnzimmer ersetzt wurde.
Die abgehängte Decke im Hausgang und die Garderobenablage -eine astreine 70´er Jahre Ästhetik - hat hingegen überlebt und steht unter „hausinternem Denkmalschutz“. 

Warum mein Vater so viel gebastelt hat? Ich vermute, dass hier die erbliche Belastung durch seinen Vater durchschlägt, der Tischler war und im Alter aktiv in einem Krippenbauverein war.
Mein Großvater väterlicherseits, Johann Schönherr.
Zwischen 1950 und 1996 hat mein Vater 130 Artikel veröffentlicht. Meine Lieblingstexte darunter sind die Berichte über die Festung Euryalos und das Kraftwerk Kuyibishev/Samara. Diese habe ich erstmals als Kind in den Originalausgaben der Zeitschriften entdeckt. Damals habe ich aber nicht darauf geschaut, wer diese geschrieben hat und war dementsprechend überrascht, dass mein Vater der Urheber ist.


Eine von meinem Vater angefertigte Rekonstruktion des Festungstors von Euryalos in Sirakus. Erschienen im Orion-Magazin im Jahre 1957 (1957/4: Seite 293-300)
Vor allem durch die Sechziger und Siebzigerjahre hindurch hat sich mein Vater mit Ufologie befasst. Wobei ihn daran unkonventionelle Ansätze und Fragen der Datensammlung interessiert haben (einfach UFOCAT oder CODAP + Schönherr googeln, dann kommt recht viel). Sein umfangreiches Archiv ist mittlerweile nach Norrköping übersiedelt worden und seine persönlichen Aufzeichnungen werden dort im AFU aufbewahrt. Von seinen Artikeln ist mir vor allem „UFO´s and the Fourth Dimension“ und „The Valensole Questionaire“ in Erinnerung. Ersteres, weil es so erklärt ist, dass man es auch völlig unbedarft versteht und weil dort die Ausdrucksweise von Egmont Colerus durchscheint, dessen Werk mein Vater sehr geschätzt hat. Zweiteres, weil es – so denke ich - typisch für meinen Vater ist, da er gerne alles hinterfragte. Der UFO – Sichtungsort in den Lavendelfeldern von Valensole in der Provence ist aber auch ein Platz der stellvertretend für die Sehnsuchtslandschaften meines Vaters ist.

An einer Wegkreuzung in der Gegend von Valensole (Originaldias mittlerweile bei AFU)
Seine beiden letzen Artikel Anfang der Neunzigerjahre befassten sich mit zeitgeschichtlichen Themen. Insbesondere erwähne ich hier die Aufarbeitung der Innsbrucker Bombenangriffe anhand des von ihm selbst geführten Tagebuches. Dieser Artikel ist im "Fenster", einer Tiroler Kulturzeitschrift,  erschienen.


Zuletzt möchte ich noch den von Herrn Dr. Alexander Keul verfassten Nachruf und ein Schreiben von Herrn Ph.D. Mark Rodeghier zitieren.

 A. Keul:

 Salzburg, Oct 10, 2009


OBITUARY


The first Austrian of the pioneer generation of UFO research, Luis Schoenherr, died at the age of 83 on October 7, 2009, at Innsbruck, Tyrol, Austria. Schoenherr worked in the emerging field of electronic data processing for the Tyrol government administration where he became Amtsdirektor, a leading official. He took an early interest in unexplained natural phenomena, published articles from the sixties and held contact with European and US researchers. Using the new computer technology, he started his own UFO catalogue CODAP. In 1974, MUFON-CES was founded at his Innsbruck home, and he also actively supported Italian UPIAR (Farabone, Izzo, Cabassi). Luis Schoenherr always had an open mind for the psychosocial dimension of UFO reports which should take several decades to get into the mainstream of research. Our deepest sympathies go to his family.


Alexander Keul, Salzburg, Austria

M. Rodeghier:

Your father was well respected in the UFO field, and as you may know, one of a handful of serious Austrian investigators of the UFO phenomenon. He wrote for many publications, including our own IUR, as you note, and he was someone who quite early recognized that the UFO phenomenon has both physical and psychological components, neither of which should be neglected in our studies.

* * *

Zum Abschluss: Unterweisung in experimentierfreudigem Essen. Im Bahnhofsrestaurant Attang-Pucheim. Die ersten Kartoffelkroketten. Die Erinnerung daran ist in mir evident -  auch ohne diese Photo, das ich wiederentdeckte.