Was wir diesen Urlaub ganz gemütlich geradelt sind, könnte man freilich auch weitaus wissenschaftlicher aufziehen:
"Wie dies bereits an anderer Stelle hervorgehoben wurde, ist
die normale Tagesleistung eines Radfahrers an bestimmte, mit ziemlicher
Genauigkeit ermittelbare Grenzen gebunden, deren Unterschätzung
einerseits dem menschlichen Organismus Schaden bringen
kann, anderseits den Wert der auf eine längere Reisedauer bezogenen
Gesammtleistung mehr oder weniger herabdrücken, beziehungsweise
eine rationelle Ausnützung der dem Radfahrer zu Gebote stehenden
physischen Kräfte beeinträchtigen muss."
Dieses Feststellung ist aus dem zweiteiligen Artikel "Das Fahrrad im Straßenbaudienste mit besonderer Berücksichtigung
der Ökonomie von Kraft und Zeit." von k. k. Ministeriarat R. Iszkowski
in der "Österreichische Wochenschrift für den öffentlichen Baudienst, VII. Jahrgang (um 1901)" zu entnehmen.
Ich habe vor einigen Jahren verschiedene Ausgaben dieser Zeitschrift nach für mich Interessantem gescannt (wortwörtlich und diigital, von den Original hätte man Hausstauballergie bekommen) und kam nun endlich dazu, darin etwas länger zu lesen.
Kapiert habe ich die seitensweisen Rechentabellen nur im Überblick. Die Schlüsse, die Herr Iszkowski daraus zieht sind aber anschaulich und logisch dargestellt.
Ich gebe einige wenige weitere Zitate wieder:
"Kommt es ferner darauf an, seine Erfahrungen durch Besichtigung
möglichst vieler in- und ausländischer Straßen, Flussregulierungen
etc. in relativ kurzer Zeit und ohne größere Auslagen
zu erweitern, dann bietet das Radfahren in entsprechender Combination
mit den Eisenbahn- und Schiffahrten Vortheile, wie sie in
keiner Weise sonst zu erreichen sind."
***
"In der Voraussetzung einer gleichen Umdrehungsgeschwindigkeit
der Kurbel kann daher der Radfahrer mit einer kleineren Übersetzung
bei relativ langsamerer Fahrt einen größeren Widerstand überwinden,
als mit einer größeren Übersetzung. Dagegen lässt sich
allerdings einwenden, dass derselbe Erfolg auch mit einer größeren
Übersetzung erzielt werden könne, sobald die Umdrehungsgeschwindigkeit
der Kurbel entsprechend ermäßigt wird. Dies ist
auch thatsächlich unter gewissen Bedingungen, namentlich auf guter,
horizontaler oder schwach geneigter Bahn möglich. Sobald jedoch der
Widerstand ein gewisses Maß erreicht, wird ein langsames Drehen
der Kurbel nicht mehr möglich, indem dieselbe sodann nicht über
die todten Punkte gebracht worden kann, zumal hiezu ein bestimmtes
Maß der lebendigen Kraft erforderlich ist, die bei
gleichem Drucke auf die Kurbel, mit dem Quadrate der Umdrehungsgeschwindigkeit
wächst, daher bei rascherer, durch die kleinere
Übersetzung, beziehungsweise durch den geringeren Widerstand ermöglichter
Kurbeldrehung, die Überwindung der todten Punkte
erleichtert."
***
Man sieht schon, es wird sehr physikalisch. Dies Schlussfolgerungen sind im Weiteren sehr handhaft:
"Hinsichtlich der Fahrt in den Steigungen wäre insbesondere hervorzuheben, dass bei 25 (Umdrehungen) die lebendige Kraft an der Kurbel
bereits auf ein
so geringes Maß herabsinkt, dass die theoretisch ermittelten ersteigbaren
Steigungen, soferne sie etwa 10% übertreffen, wegen
der Schwierigkeit der regelrechten Überwindung der todten Punkte
der Kurbel thatsächlich nur bei besonderer Übung überwindbar
sein dürften, wobei übrigens zu berücksichtigen ist, dass Steigungen
von mehr als 9% in der Wirklichkeit zu dermaßen seltenen Ausnahmen
gehören, dass sie als zu befahrende kaum mehr in Betracht
kommen."
Nona, meint vielleicht heute; damals wars aber doch richtungsweisend, wie das hier zeigt:
"Ein ideales Fahrrad sollte hiernach drei verschiedene Übersetzungen, etwa 42, 65 und 80 besitzen.
Ob dies möglich sei, wird die Zukunft zeigen — bisher ist
aber mit der Thatsache zu rechnen, dass selbst ein mit zwei
Übersetzungen ausgestattetes, den Anforderungen der Praxis vollauf
entsprechendes Fahrrad noch nicht erfunden wurde, die Radfahrer
daher genöthigt sind jenes Übersetzungsverhältnis zu wählen, welches
nach Berücksichtigung der Gefällsverhältnisse der meist befahrenen
Straßen die relativ größte Kraft-Ökonomie verbürgt."
Romuald Erazm von Iszkowski, dem ein Verwandter hier ein digitales Denkmal gesetzt hat hat als Bauingenieur sein weitverzweigtes Fachgebeit vielerorts befruchtet. Ich habe den Verdacht, das Radfahren sein Leidenschaft war und er wohl auch viele seiner Außendienste geradelt ist (Nicht "nur" eine 6000km Radtour durch Europa).
Heute würde er wohl unter dem Eindruck der Zeitökonomie, wie die meisten seiner Berufsgenossen, mit dem Auto fahren. Er könnte sich aber vermutlich mit seinen Tabellen ausrechnen, das er damit mehr Schaden anrichten würde als Nutzen herauskommt, was ja durchaus auch einige Ingenieure wissen, wie zB. Univ Prof Kurt Ingerle (+) der in seinen Vorlesung immer wieder Seitenhiebe auf den Prothesenbau (=Autoindustrie) austeilte.
So bleibt mir nur, mich bei der Zeit- und Kraftökonomin dieses Urlaubs zu bedanken, die mir hier gerade von Fregene nach Cerveteri vorausradelt. Sie hatte die Tagesetappenlängen bzw. deren Angemessenheit weit klarer im Blick als ich es hatte. Dafür habe ich die flachsten Straßen (nicht immer) gefunden.
Nachsatz: Iszkowsky baut seinen Artikel auf einer Grundlagenarbeit von Franz Ritter von Rziha auf. Im Fahrradmagazin Pro Velo 5/1986 werden seine Überlegungen dargestellt.

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